Christiane Hoffmann ist Erste Stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. In ihrem ursprünglichen Beruf als Journalistin arbeitete sie als Auslandskorrespondentin bei der FAZ in Moskau und Teheran. Seit 2013 leitete sie das Hauptstadtstudio des SPIEGEL.
Zur Welt kam Christiane Hoffmann in den Sechziger Jahren als Tochter zweier Flüchtlingskinder, die Familie ihrer Mutter war aus Ostpreußen, die des Vaters aus Oberschlesien geflohen – ein Schicksal, das ihre Familie mit einem Fünftel der deutschen Bevölkerung teilt.
Bereits in ihrer glücklichen Kindheit in Hamburg merkt sie, dass dieser Schatten auf der Familie liegt, wenngleich Flucht und Vertreibung niemals erschöpfend thematisiert werden. Hoffmann ist vom Typ her eher ein ängstliches Kind, das mit unsicheren Situationen nicht gut umgehen kann. Von Anfang an ist sie ein „östlicher Mensch“, den es eher in die Weiten Sibiriens zieht als in die USA. Und als sie sich später im Leben Gedanken darüber macht, warum sie ist, wie sie ist, kommt sie darauf, dass die Ursprünge der Familie, die Flucht, die verlorene Heimat und das Trauma irgendwie bis in ihr eigenes Leben reichen und sie geformt haben. Es war nicht so, dass die Herkunft aus Rosenthal (heute Rozyna/ Polen) verleugnet wurde, die Familie ist sogar mehrfach zusammen dort gewesen, doch die Verletzungen wurden nie offengelegt, so dass Christiane Hoffmann den Schmerz der Flucht nie richtig nachvollziehen konnte.
Daher machte sie sich im Januar 2020 auf den Weg nach Rozyna. Sie hat den Fluchtweg ihres damals neunjährigen Vaters und seiner Familie so gut wie möglich recherchiert und begibt sich also im tiefsten Winter, genau wie der Flüchtlingstreck 1945, auf die Wanderung entlang des damaligen Fluchtweges bis nach Klinghart (heute Krizovatka/ Tschechische Republik). Sie sieht die Orte, an denen auch ihr Vater vorbeigekommen ist, erkundigt sich, ob es noch Menschen gibt, die sich an die Flüchtlinge erinnern. Sie fühlt die erbärmliche Kälte, sieht die weite Landschaft und kann ein wenig die Entbehrungen nachempfinden. Niemals vergisst sie, Parallelen zu den heutigen Flüchtlingsströmen zu ziehen, deren Elend dasselbe ist, wie das ihrer Familie. Viele Leute sprechen mit ihr, bitten sie in ihre Häuser, erzählen über alte und neue Zeiten. Sie begegnet älteren Menschen, die noch den Krieg und die Wut in sich tragen, es gibt Antisemitismus und Nationalismus auf der 550 Kilometer langen Strecke, aber natürlich auch aufgeschlossene Europäer, die die Staatsgrenzen gar nicht nicht mehr richtig wahrnehmen.
Viele Gedanken kommen ihr auf ihrem Weg, es geht natürlich um die Zeit des Zweiten Weltkrieges, um Schuld und Sühne in diesem Zusammenhang. Es geht um die Entwurzelung von flüchtenden Menschen, damals wie heute, um Heimat, ihre Bedeutung und ihren Verlust. Besonders interessant finde ich den Gedanken der Strahlkraft eines solchen Traumas über mehrere Generationen – selbst die, die das Schlimme nicht erlebt haben, sind davon gezeichnet.
Christiane Hoffmann ist Journalistin, ihre Recherchen sind hieb- und stichfest, ihr Bericht so ausgewogen und intelligent wie emotional. Gleichzeitig gibt sie ihrem Text eine ganz besondere, literarische Sprache und Struktur, die weit über das hinausreicht, was man von einem guten Sachbuch erwarten kann.